Blog 1: Generationenwechsel im Familienunternehmen
Die Falle der halbherzigen Übergabe
Offiziell übergeben – praktisch blockiert: Warum halbherzige Übergaben Familienunternehmen lähmen.
Wenn die Übergabe nur auf dem Papier steht
Die Nachfolge im Familienunternehmen gehört zu den emotionalsten und schwierigsten Momenten in der Unternehmensgeschichte. Auf den ersten Blick scheint alles geregelt: Die Tochter oder der Sohn übernimmt die Geschäftsführung, die Eintragung im Handelsregister ist erfolgt, vielleicht wurde sogar ein feierlicher Übergabeakt mit Mitarbeitern und Partnern veranstaltet. Doch wer genauer hinsieht, erkennt schnell, dass diese Übergabe oft nur auf dem Papier existiert.
Im Alltag greifen Vater oder Mutter nach wie vor ins operative Geschäft ein. Ein kurzer Anruf bei der Produktionsleitung, ein spontanes Gespräch mit langjährigen Kunden oder ein mahnendes Wort im Teammeeting, all das wirkt wie kleine, harmlose Gesten. Doch die Wirkung ist groß: Mitarbeiter spüren sofort, dass die alte Autorität weiterhin präsent ist. Entscheidungen, die offiziell bei der jungen Führung liegen, werden unterlaufen oder gar zurückgedreht. Für die Nachfolger bedeutet das ein ständiger Kampf um Anerkennung und Glaubwürdigkeit.
Warum Loslassen so schwerfällt
Dass dieser Prozess so häufig scheitert, liegt selten am bösen Willen der Eltern. Vielmehr geht es um tief verwurzelte Gefühle. Ein Familienunternehmen ist kein normaler Job, es ist Identität, Lebenswerk und Stolz. Wer sein Leben lang alles gegeben hat, um eine Firma aufzubauen, kann nicht von heute auf morgen loslassen.
Die ältere Generation will schützen, bewahren und verhindern, dass Fehler passieren. Oft steckt dahinter die Sorge: „Ohne mich läuft es nicht.“ Gleichzeitig fällt es schwer, die eigene Rolle neu zu definieren. Wenn man jahrzehntelang das Gesicht der Firma war, fühlt sich der Schritt ins zweite Glied wie ein Bedeutungsverlust an. Offiziell ist die Nachfolge geregelt, praktisch aber bleibt die alte Generation in jeder Ecke spürbar.
Die unsichtbaren Kosten für das Unternehmen
Diese Halbherzigkeit bleibt nicht folgenlos. Sie zieht eine Spur von Unsicherheit durch die gesamte Organisation. Mitarbeiter erleben zwei Machtzentren, die oft unterschiedliche Botschaften senden. Was die neue Geschäftsführung entscheidet, wird von der alten Generation infrage gestellt oder relativiert. Das führt unweigerlich zu Frust, denn warum sollte man einer jungen Führungskraft folgen, wenn man ahnt, dass die alten Chefs am Ende ohnehin das letzte Wort haben?
Die Konsequenzen sind gravierend. Die Nachfolger verlieren Motivation und Freude, weil sie zwar Verantwortung tragen, aber keine echte Gestaltungsmacht haben. Gleichzeitig stagniert das Unternehmen, da mutige Entscheidungen für die Zukunft ausgebremst werden. Innovation, Digitalisierung oder neue Geschäftsmodelle bleiben auf der Strecke, weil das Alte weiterhin funktioniert. Langfristig entsteht ein Klima der Unsicherheit: Talente wandern ab, und das Unternehmen verliert an Wettbewerbsfähigkeit.
Übergabe ist ein Prozess, kein Moment
Eine erfolgreiche Übergabe ist möglich, wenn man versteht, dass sie nicht in einem einzigen Moment geschieht, sondern ein längerer Prozess ist. Der entscheidende Punkt ist nicht, ob Vater oder Mutter noch da sind, sondern wie sie da sind.
Eine Übergabe gelingt dann, wenn klare Rollen definiert werden. Die junge Generation übernimmt operative Verantwortung und trifft Entscheidungen, die für die Zukunft entscheidend sind. Die Älteren hingegen wechseln in eine neue Rolle weniger als Entscheider, mehr als Mentoren, Sparringspartner oder Repräsentanten. So bleibt das wertvolle Wissen im Unternehmen, ohne dass es zur Bremse wird.
Dieser Rollenwechsel braucht Klarheit und Struktur. Nur wenn im Unternehmen offen kommuniziert wird, wer wofür verantwortlich ist, können die Mitarbeiter Vertrauen entwickeln. Übergabe bedeutet also nicht, dass die Seniorgeneration verschwindet, sondern dass sie ihre Kraft in einer neuen, passenden Rolle einsetzt.
Selbsttest: Steckt ihr in der Falle der halbherzigen Übergabe?
- Werden Entscheidungen der Nachfolger im Alltag regelmäßig zurückgedreht oder infrage gestellt?
- Spüren Mitarbeiter noch immer, dass es zwei Machtzentren gibt?
- Hast du als Nachfolger die Freiheit, auch eigene Fehler zu machen oder trägst du Verantwortung ohne echte Entscheidungsgewalt?


